- PDF-Download „Rede anlässlich des Hambacher Freiheitsfests am 28. Mai 2017“
Prof. Dr. Wilhelm Kreutz
Am 16. April 1832 lud ein anonymer Artikel in der „Neuen Speyerer Zeitung“ zur Feier der bayerischen Verfassung am 26. Mai 1832 nach Hambach ein. Zwei Tage später, am 18. April, konterkarierte Philipp Jakob Siebenpfeiffer diesen Aufruf mit seinem Artikel „Der Deutschen Mai“, in dem er bewusst für den 27. Mai zu einer Versammlung auf dem Hambacher Schlossberg aufrief: Wenn man ein Fest feiern wolle, dann ein Fest der Hoffnung. Nicht gelte „es dem Errungenen, sondern dem zu Erringenden, nicht dem ruhmvollen Sieg, sondern dem mannhaften Kampf für die Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde“ sich zu widmen. Einen Tag später publizierte Johann Georg August Wirth seinen „Aufruf an die deutschen Volksfreunde“, in dem er Volkssouveränität und nationale Einheit forderte.
Das vorübergehende Verbot des Festes durch die königlich-bayerische Regierung stachelte den Oppositionsgeist weiter an, sodass am 27. Mai und den Folgetagen mehr als 30.000 Bürgerinnen und Bürger auf den Hambacher Schlossberg strömten. Unter den Teilnehmern waren nicht nur Besitz- und Bildungsbürger, Kaufleute und wohlhabende Handwerksmeister, sondern auch Studenten, Gesellen, Kleinbauern und Tagelöhner. Warum aber waren Zeitgenossen und Nachwelt von diesem Fest so tief beeindruckt? Zum einen wurde dadurch sichtbar, zu welch einer für damalige Verhältnisse ungeheuren Massenbewegung die freiheitliche Opposition angewachsen war, zum anderen horchte man auf, mit welcher Kühnheit die Macht- und Herrschaftsstrukturen der Fürstenstaaten in Frage gestellt, gesellschaftliche Reformen und ein deutscher Nationalstaat gefordert wurden.
Nachdem aber die liberal-demokratische Opposition, die gut eineinhalb Jahrzehnte später während der Revolution von 1848/49 die Chance zum politisch-gesellschaftlichen Wandel ergriffen, aber an der eigenen Uneinigkeit und Unentschlossenheit sowie an den damaligen Machtverhältnissen scheiterten, geriet das Hambacher Fest im allgemeinen Bewusstsein in Misskredit und Vergessenheit. Umso heller strahlte der Mythos bei allen, die die freiheitlichen Traditionen der deutschen Geschichte fortführen wollten. Der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, der Heidelberger Friedrich Ebert, machte die Hambacher Trikolore zur Flagge der ersten deutschen Republik, was zu einen jahrelangen erbitterten Flaggenstreit führte: Nicht nur die Republikfeinde, sondern auch die Reichswehr und die deutsche Handelsflotte – hielten am Schwarz-Weiß-Rot der Vorjahre fest und verunglimpften die neue Flagge als Schwarz-Rot-Senf oder Schwarz-Rot-Mostrich. Daran erinnerte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Es war insbesondere die Flagge der Republik, auf die es ihre Feinde abgesehen hatten und die sie immer wieder in den Schmutz zogen: Schwarz-Rot-Gold, die Farben der deutschen Freiheitsbewegung seit dem Hambacher Fest von 1832. Das allein ist Grund genug, den 9. November 1918 aus dem geschichtspolitischen Abseits zu holen! Wer heute Menschenrechte und Demokratie verächtlich macht, wer alten nationalistischen Hass wieder anfacht, der hat gewiss kein historisches Recht auf Schwarz-Rot-Gold. Den Verächtern der Freiheit dürfen wir diese Farben niemals überlassen! Sondern lassen Sie uns stolz sein auf die Traditionslinien, für die sie stehen: Schwarz-Rot-Gold, das sind Demokratie und Recht und Freiheit!“
Seinen sichtbarsten Ausdruck fand die bundesrepublikanische Traditionspflege Hambachs – nach der Wiedereinführung der Schwarz-Rot-Goldenen Flagge bei den vom Land Rheinland-Pfalz organisierten Feiern zum 150. Jahrestag des Festes 1982. Das Hambacher Schloss wurde grundlegend renoviert, und dient seitdem als Ort unterschiedlichster Veranstaltungen und einer viel beachteten Dauerausstellung. Die damaligen Veranstaltungen fanden deutschlandweit Beachtung und führten zu einer erhöhten Wertschätzung des Hambacher Festes. Daran knüpfte das Komitee an, das am 8. Juni 1986 die „Hambach-Gesellschaft für historische Forschung und politische Bildung e. V.“ gründete. Seit ihrem Bestehen ist die Hambach-Gesellschaft den beiden Zielen, die in ihrem Namen zum Ausdruck kommen, verpflichtet. Sie pflegt die historische Forschung durch öffentliche Vorträge, wissenschaftliche Kolloquien und vor allem durch die jährliche Herausgabe eines Jahrbuchs. Das mit dem Schlagwort „Hambach“ abgesteckte Feld wird dabei sachlich wie zeitlich weit gefasst. Ein Schwerpunkt liegt auf den demokratischen und liberalen Bewegungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ebenso nachgespürt wird auch den Wurzeln dieser Traditionen seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und ihren Folgen bis in die Gegenwart. Die Einflüsse von draußen finden ebenso Beachtung wie die gesamteuropäischen Zusammenhänge. Durch Vorträge und Tagungen bemüht sich die Gesellschaft darum, das Bewusstsein um „Hambach“ sowohl in der Heimat des Festes als auch im In- und Ausland wach zu halten.
Ihrem Auftrag zur politischen Bildung kommt die Gesellschaft vor allem durch Podiumsdiskussionen auf dem Hambacher Schloss nach. Hier führen renommierte Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Publizistik in aktuelle Themen ein, die sie im anschließenden Disput vertiefen. So wurde im 60. Jahr ihres Bestehens der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland unter der Fragestellung „Das Grundgesetz und was daraus geworden ist“ gedacht. Frühere Themen waren die Rechte der Frauen in der heutigen Gesellschaft, Fragen der Bildung und der Medien. Diese Veranstaltungen finden stets eine angemessene Resonanz in den Medien und bei der interessierten Öffentlichkeit regen Zuspruch.
Bleiben die Fragen, warum des Hambacher Fest nicht nur einen besonderen Platz in unserer Erinnerungskultur gebührt, sondern auch was die Ziele der Hambacher, die Trias von „Freiheit, Einheit und Europa“, für uns heute bedeuten. Die Antwort auf die erste Frage hat vor mehr als vierzig Jahren der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann formuliert: Traditionen und die Auseinandersetzung mit der Geschichte seien nicht das Privileg konservativer oder reaktionärer Kräfte, auch wenn diese am lautesten von ihnen sprächen, sondern man müsse „in der Geschichte unseres Volkes nach jenen Kräften spüren und ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, die dafür gelebt und gekämpft haben, damit das deutsche Volk politisch mündig und moralisch verantwortlich sein Leben […] selbst gestalten“ könne. Darüber hinaus haben die Hambacher Forderungen, besonders jene nach der Freiheit der Rede, der Presse, allgemein der Medien – nicht nur in Polen, Ungarn oder der Türkei – eine lange Zeit für unmöglich gehaltene Aktualität gewonnen; ich Dass wir weder die Hoffnung Wirths, die moralische Kraft der freien Presse reiche aus, um die nationale Einheit oder eine liberale Gesellschaft herbeizuführen, noch die naive Hoffnung der Dürkheimer Winzer teilen, die ebenso kurz wie idealistisch formulierten: „Die freie Presse, Brüder, sie soll leben/Sie macht vom Zoll uns frei/Denn wo man darf die Stimme frei erheben/Kommt alles noch in Reih!“, muss nicht eigens betont werden. Allerdings erleben wir gegenwärtig auch, dass durch die freie Meinungsäußerung allein leider „nicht alles in die Reih kommt“, sondern in den (a)sozialen Medien Freiheits- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden und rassistische Hetze fröhlich Urständ feiert. Dies ändert indes nichts an der Tatsache, dass die Abschaffung der Demokratie eingeleitet und begleitet wird von immer drastischeren Zensurmaßnahmen. Wer Journalisten mundtot macht, wer sie inhaftiert, ist weder Demokrat noch ein Verfechter der offenen Gesellschaft.
Nicht zuletzt waren 1832 der Ruf nach Freiheit und nach nationaler Einheit eng miteinander verknüpft denn sie schlossen die Forderung von Volkssouveränität und einem frei gewählten nationalen Parlament mit ein. Wenngleich sich seit den Befreiungskriegen immer wieder fremdenfeindliche Ressentiments in diese Rufe mischten, waren diese in Hambach nicht zu vernehmen. Denn der Ruf nach Einheit verbanden sich mit der Forderung nach einem „conföderierten Europa“, einem „Europa der Völker“. Siebenpfeiffer schloss seine Eröffnungsrede mit der Losung:
„Es lebe das freie, das einige Deutschland! Hoch leben die Polen, der Deutschen Verbündete! Hoch leben die Franken, der Deutschen Brüder … Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört! Vaterland – Volkshoheit – Völkerbund hoch!“ Und selbst Wirth beschwor am Schluss seiner Rede „den schönen Bund, der unser Volk erwecken […] und die Kraft zu Deutschlands Wiedergeburt […] erzeugen [möge]; er möge auch […] mit den reinen Patrioten der Nachbarländer sich verständigen, [und] die brüderliche Vereinigung suchen, mit den Patrioten aller Nationen, die für Freiheit, Volkshoheit und Völkerglück das Leben einzusetzen entschlossen sind. Hoch! dreimal hoch leben die vereinigten Freistaaten Deutschlands! Hoch! dreimal hoch das conföderirte republikanische Europa!“